Einwurf: Vorwort: 500 Jahre Reformation – was hat das mit TUS Eintracht Tonnenheide zu tun?

Rohrbeck-RainerGenau wie das gedruckte Exemplar, so sollte auch die Online Ausgabe mit dem Vorwort beginnen. Daher unterbrechen wir die zufällige Reihenfolge an dieser Stelle, und reichen noch schnell das Vorwort nach:

In den letzten Jahren sind sie schwer in Mode gekommen: GPS-Uhren, die messen wie schnell ich unterwegs bin, ob ich mich an einem Tag genug bewegt habe und wie meine Leistung ist. Nelly, Benutzerin einer Fitness-Coaching-App, sagt: „Ich erwarte von mir selber, dass ich mein Pensum erfülle. Und immer so viel laufe, wie ich weiß, dass das gesund und wichtig ist. Einfach, um sicher zu gehen, dass ich mich daran halte, hab ich diese Uhr, wie als hätte man einen Trainer, der sagt: Los, komm, machs noch einmal. Du schaffst das! Die Uhr erinnert mich: Reiz deine Grenzen aus und geh immer noch einen Schritt weiter. Und wenn du das geschafft hast, dann kommt da so´n Herz als Belohnung, ´n Smiley.“
IT-Konzerne gehen davon aus, dass 2020 etwa 1 Milliarde solcher Körperkontrollautomaten getragen werden. Manchmal nerven die Uhren, und doch sind sie für viele eine wichtige Kontrolle, ein wichtiger Anreiz. Noch einmal Nelly: „Manchmal ist diese Uhr wie so´ne nörgelnde Tante! Ist mir schon klar, dass ich mich da selbst unter Stress setze, ewiges Gezeter und Genörgel. Und immer das Gefühl: es ist nie ganz gut! Ist nie ganz richtig! Es fehlt immer noch was, könnte immer noch optimiert werden. Hat ganz viel mit Gewissen zu tun. Jemand sagt: Du musst gesund sein, du sollst auf deine Werte achten, damit du gut alt wirst und der Gemeinschaft nicht zur Last fällst!“
Mir kommt das vor, als sollte das „Mängelwesen“ Mensch überwunden werden und dies rational, auf der Basis scheinbar objektiver Datenreihen, nämlich der Ergebnisse, die diese Uhr liefert.
Was Martin Luther damit zu tun hat? Ich finde, eine ganze Menge. Was mit diesen Armbändern geschieht, erinnert mich daran, wie Menschen sich zu Luthers Zeiten von anderen, den Mächtigen in Kirche und Staat, unter Druck setzen ließen. Die Botschaft damals wie heute ist: Du bist nicht gut genug! Du musst und du kannst noch viel mehr tun. Wir machen uns diesen Stress ja nicht nur selber mit solchen Armbändern. Auch im Beruf wird ja von uns erwartet, dass wir uns immer noch steigern und verbessern. Manche Wissenschaftler reden deshalb heute von „Optimierungswahn“ und der kann Menschen auch krank machen, obwohl doch eigentlich das Gegenteil erreicht werden soll.
Vor 500 Jahren hat Martin Luther eine ganz wichtige Entdeckung gemacht: Was ich wert bin, hängt nicht von dem ab, was ich leiste oder was ich kann. Meinen Wert habe ich schon lange, bevor ich irgendwas machen kann. Ich bin wertvoll und wichtig, einfach, weil ich da bin, weil mich einer geschaffen hat, der mich will und der mich liebt. Ich muss mir seine Liebe und die Liebe anderer nicht verdienen. Diese Liebe bekomme ich geschenkt. Martin Luther hat lange gebraucht, bis er das verstanden hat. Aber als es erst soweit war, ist er richtig aufgelebt. Auf einmal machte das Leben wieder Spaß. Er hat auch weiter viel gearbeitet, hat auch weiter versucht, ein immer noch besserer Mensch zu werden, aber jetzt mit menschlichem Maß. Nun konnte er Ja sagen zu seinen Grenzen, zu seinen Fehlern, konnte Ja sagen zur Genügsamkeit. Jetzt konnte er sich von Herzen auch mal Pausen gönnen, und das Leben genießen. „Am Abend gönne ich mir mein gutes Einbeckisch Bier, ich habe getan, was ich konnte, für den Rest wird nun der liebe Gott sorgen!“
Also, liebe Eintrachtler, natürlich ist es gut und tut uns gut, wenn wir uns bewegen und versuchen, immer noch ein wenig besser zu werden. Ich jedenfalls gehe immer noch gerne zum Training und habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, auch in meinem fortgeschrittenen Alter meine fußballerischen Qualitäten noch verbessern zu können. Aber lasst uns das mit Augenmaß tun, uns nicht auch noch in unserer Freizeit vom herrschenden Optimierungswahn anstecken lassen. Gott sagt freundlich Ja zu mir und meinen Grenzen. Deshalb darf auch ich freundlich Ja zu mir und anderen sagen und nicht mehr von mir fordern als mir gut tut.
Rainer Rohrbeck